Presse



 
 

Laudatio anlässlich der Ehrung der Jugendgruppen der Aktion Analyse
Demokratisches Jugendforum Brandenburg / Veranstalter
im Rathaus, Frankfurt an der Oder am 1. Juli 2002

Gerhard Diefenbach
Vorsitzender des Aachener Friedenspreis e. V.

Liebe Jugendliche aus Brandenburg,
liebe Freundinnen und Freunde der Aktion Noteingang,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Vor zwei Jahren ging der Aachener Friedenspreis an die Aktion Noteingang aus
Brandenburg und ich freue mich natürlich sehr, heute bei Ihnen hier in
Frankfurt sein zu können und bei Eurer Preisverleihung an brandenburgische
Jugendgruppen im Rahmen des Projektes "Aktion Analyse" mitwirken zu dürfen.

In jedem Jahr verleihen wir am 1. September, dem Antikriegstag, den Aachener
Friedenspreis an Menschen, die sich für Frieden und Völkerverständigung
verdient gemacht haben. Alljährlich am 8. Mai machen wir unsere Preisträger
der Öffentlichkeit bekannt. Wir, das sind die Mitglieder des Aachener
Friedenspreises, die es seit 1988 in Aachen gibt und am 8. Mai deshalb,
weil an diesem Tag Deutschland vor 57 Jahren vom Naziregime befreit worden
ist. Diesen Tag wollen wir damit in der Erinnerung wachhalten.

Nach unserer Überzeugung bildet die Sicherung des Friedens den höchsten Wert und ist zugleich Voraussetzung für die Bewältigung aller übrigen Aufgaben
die wir zu meistern haben. Willy Brandt hat es einmal in dem Satz
zusammengefaßt:

"Frieden ist nicht alles aber ohne Frieden ist alles nichts."

Und dieser Satz gilt nicht nur nach außen, für die zwischenstaatlichen
Beziehungen, sondern er gilt in gleicher Weise auch im Inneren unseres
Landes in den Beziehungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und um so
mehr auch Migrantinnen und Migranten gegenüber.

Lassen Sie mich zwei Passagen aus der Gründungserklärung des Aachener
Friedenspreises aus dem Jahr 1988 hinzufügen :

"....Nur Frieden kann heute die Form menschlichen Zusammenlebens sein, auch
mit Andersdenkenden, selbst wenn diese vorhandene Normen ändern wollen.
Deshalb ist die Kultur des Streites und der Diskussion zu erlernen: Nicht
zur Verwischung sozialer, politischer und kultureller Gegensätze, sondern im
Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung für die Existenz unserer Welt und
Umwelt.
Darum mischen wir uns ein, wollen Verantwortung übernehmen, die Regierenden
auf unsere Ziele aufmerksam machen, eingefahrenes Machtdenken aufbrechen und
friedensfördernde Absichten unterstützen....."

Um diesen Vorgaben und Zielen gerecht zu werden, dürfen wir niemals unsere
Vergangenheit, unsere Geschichte vergessen: Zwölf Jahre genügten der
sogenannten "deutschen Herrenrasse" damals, dann hatten sie Europa in Schutt und Asche gelegt und dem Begriff "Barbarei" eine neue Dimension hinzugefügt. Und heute, kaum dass die Kriegsfolgen überwunden und das geteilte Deutschland wiedervereint ist, da sind auch wie damals jene Wortführer mit ihrem "Stolz auf Deutschland" wieder da. Und wie damals - wie immer - paart sich ihr Stolz mit Einfalt und Dummheit.

Andererseits: Niemand verlangt von uns Deutschen, Tag für Tag von der Last
der Geschichte gebeugt durch die Gegend zu schleichen. Eher ist es so, dass
dieser Satz genau jene kennzeichnet, die mit Ressentiment geladener
Argumentation sich dieser geschichtlichen Auseinandersetzung verweigern.

In Deutschland ist nicht erst seit heute oder seit dem Sommer 2000 plötzlich
der Fremdenhass und der Antisemitismus ausgebrochen, sondern sie sind schon längst da gewesen. Und sie werden heute durch die aktuelle Diskussion z.B. um die israelische Kriegspolitik oder den Literaturkritiker Reich-Ranicki
"hoffähig" gemacht.
Dabei ist das Schlimmste an diesen Debatten um die Äußerungen des
FDP-Politikers Jürgen Möllemann oder über das neue Buch von Martin Walser:
sie eröffnen eine unterschwellige Stimmung und den Raum für einen
öffentlichen Diskurs, der bisher zwar über Stammtisch und rechtsradikale
Subkultur hinaus vorhanden, aber auf das Gespräch hinter vorgehaltener Hand
begrenzt war.

Und nun soll auch noch Einwanderung zum Wahlkampfthema werden.

Ich bin wütend und empört, wenn ich heute morgen die jüngsten Äußerungen des Innenministers Otto Schily in den Zeitungen lese, geäußert also von einem
führenden Vertreter der Partei, die einmal meine politische Heimat war.
Diese Äußerung die beste Integration sei Assimilation entspricht den
Leitkulturvorstellungen und Äußerungen der CDU vor etwa einem Jahr.

Ich erwarte von führenden Politikern - wenn wir sie denn als solche
anerkennen sollen - einen verantwortungsbewussten Umgang mit derartigen
Themen.

· Das heißt, nicht die Hoheit über jedem Stammtisch erobern zu wollen und
deren Parolen das Wort zu reden, nur um Wählerstimmen zu gewinnen.

· Das heißt statt dessen über die Nöte der zu uns fliehenden Menschen, der
bei uns Asylsuchenden aufzuklären und einen angemessenen Beitrag zu ihrer
Linderung zu leisten.

· Das heißt den viel beschworenen "Aufstand der Anständigen" wirklich zu
unterstützen. Jugendgruppen und andere engagierte Bürgerinnen und Bürger mit
vorbildlichen Aktionen und Projekten, so wie wir sie heute hier vorgestellt
bekommen und würdigen wollen, nicht nur in Sonntagsreden zu loben, sondern
zu fördern und ganz konkret auch finanziell zu unterstützen.

· Das heißt Entschuldung der Länder der Dritten Welt und der
Entwicklungsländer und die Entwicklungshilfeleistungen der Bundesrepublik
Deutschland auf den seit vielen Jahren von der UNO geforderten Beitrag von
0.7 % des Bruttosozialproduktes zu erhöhen. Derzeit zahlt die BRD gerade
einmal lächerliche 0.23 %.

· Und das heißt aber auch, dass wir unser globales Wirtschaften so
orientieren, dass wir nicht nach den Gewinn maximierenden
Unternehmensforderungen sondern nach fairen partnerschaftlichen Prinzipien
handeln. Letztendlich bedeutet dies den kapitalistischen Horizont zu
überschreiten.

· wie bereits erwähnt, ist Voraussetzung dafür friedliche und gewaltfreie
Strategien, d. h. eine Politik ohne Krieg auch in internationaler
Perspektive politisch stark zu machen. Ein Ausgangspunkt in der BRD muss
daher sein, gegen die neue NATO-Strategie anzukämpfen, die u.a. beinhaltet,
den freien Zugang zu allen Ressourcen der Welt mit militärischer Gewalt zu
erreichen und sichern zu wollen.

Lassen Sie mich nun die fünf Gruppen vorstellen, die ich mit meinem Beitrag
würdigen möchte. Es würde den zeitlichen Rahmen dieser Veranstaltung
sprengen, die Arbeiten der Gruppen, die sich Ihnen ja soeben sehr
anschaulich vorgestellt haben, nochmals im Detail zu diskutieren.
Ich möchte auch erwähnen, dass ich die Entscheidung des DJB alle Gruppen und
ihre Arbeiten gleichermaßen mit einer Auszeichnung zu würdigen, besonders
gut finde. Es kommt ja hier nicht darauf an, Weltmeister zu werden, nur den
Ersten oder Zweiten zu finden, sondern darauf, dass Sie sich, liebe
Jugendliche, engagiert haben gegen den fremdenfeindlichen Zeittrend und für
ein menschliches Miteinander in unserer Gesellschaft.


1. Die Gruppe Piraten e.V. - gegen Rassismus für Integration und Toleranz
aus Spremberg.

Seit 1999 existiert die Initiative Piraten e.V., die sich aus einer Gruppe
Jugendlicher gründete, die wiederholt Ziel neofaschistischer Angriffe war.
Sie versuchen in ihrer Stadt ein Gegenklima zu dieser teils latenten rechten
Stimmung und Gewalt zu erzeugen. Seit mehreren Jahren bemühen sie sich, von
der Stadt und der örtlichen Politik ein selbstverwaltetes Jugendzentrum zu
bekommen. Trotz aller Widerstände arbeiten sie seit drei Jahren mit
unterschiedlichsten Projekten und betreiben seit kurzem ehrenamtlich ein
Jugendcafé, das sie durch eine private Initiative erhalten haben.
In ihrem Videofilm berichten Sie über Ihre Bemühungen und Aktivitäten gegen
Rassismus. Sie zeichnen zudem mit diesem Film das nationalkonservative Klima
ihrer Stadt nach, das Sie an einigen ausgesuchten Beispielen deutlich
machen.: So die Forderung des Bürgermeisters Ihrer Stadt einen Gedenkstein
für ein SS-Batallion zu errichten oder die aktive Pflege des NS-Militarismus
z.B. der Afrika-Ehemaligen-Kameradschaft. Außerdem sind seit der Wende zwei
Bücher in Spremberg erschienen, die die SS-Präsenz in Spremberg gänzlich
unkritisch thematisieren aber die Vernichtung des jüdischen Lebens in ihrer
Stadt in der Nazizeit mit keinem Wort erwähnen.

Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Analysearbeit und ich bitte Sie, genauso
weiter zu machen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag. Demokratie, die das
Wort Demokratie auch verdient, kann nur durch die kritische Beteiligung
möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger am politischen und
gesellschaftlichen Geschehen funktionieren und leben. Viel Erfolg für Sie
dabei, junge Menschen für Ihre, für unsere Sache zu gewinnen. Die Politiker
Ihrer Stadt fordere ich auf, unterstützen Sie diese Gruppe auch finanziell
in Ihrer Arbeit.


2. Alternative Gruppen aus Eisenhüttenstadt

Die Initiative besteht aus einigen Jugendlichen, die sich im Umfeld des
selbstverwalteten Jugendclubs Olé zusammengefunden haben. Der Titel ihrer
Recherche-Broschüre "Kein Platz für Rassismus?" - und hier ist die Einfügung
des Fragezeichens von politischer Bedeutung - nimmt Bezug auf die im Jahr
2000 durch die Stadtverantwortlichen am Ortseingang aufgestellten Schilder
mit dem Text "Kein Platz für Rassismus".
Sie geben in Ihrer Recherche-Schrift "nicht rechten" jungen Menschen Raum,
aus ihrer Sicht und aus ihrer subjektiven Perspektive über ihr Lebensgefühl
sowie ihre Wahrnehmung von Rassismus und Rechtsextremismus zu berichten. Sie
hinterfragen den Inhalt der Texte auf den Orteingangsschildern und das darin
sich spiegelnde Wunschbild der Stadtväter und -mütter. Sie zeigen auf, wie
die Bürgerschaft rechtsextremistische und faschistische Positionen in ihren
Alltag einfach integriert haben. So etwa die Abschottung und Ausgrenzung von
Flüchtlingen in der zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber des Landes
Brandenburg, die in ihrer Stadt beheimatet ist.

Ich gratuliere Ihnen zu Ihren Schilderungen und Analysen sowie Ihrer
ausgezeichneten Recherchebroschüre. Lassen Sie sich auch zukünftig bei Ihren
Bemühen um Aufklärung gegenüber rechtsradikalen und faschistischen Tendenzen
nicht beirren. Sie sind auf dem richtigen Weg. Herzlichen Glückwunsch.


3. Initiative "Club Alternative Vetschau" (CAV)

Die Gruppe "Club Alternative Vetschau" entstand und lebt im Umfeld einer
alternativen BandSzene. Die Gruppe will ein Gegengewicht zur rechtsradikalen
Gesinnung vieler Jugendlicher und vieler Bürgerinnen und Bürger ihrer Stadt
bilden. Sie wollen gegen die Ignoranz ankämpfen, die gegenüber den Problemen
mit Rechtsradikalismus in ihrer Stadt bestehen.
Ständig sind sie verbalen Attacken und Angriffen von Rechtsradikalen
ausgesetzt. Sie müssen gegen ein andauerndes Unverständnis bzw. die
mangelnde Wahrnehmung des Rassismus durch die Stadtverwaltung und die
Bürgerschaft ankämpfen. Ihr Alltag ist geprägt von der Angst auf den
Straßen. Der von ihnen erstellte Videofilm geht dieser Situation nach. Sie
haben mit dem Film eine dokumentarische Chronik der immer noch andauernden
Angriffe und Übergriffe Rechtsradikaler in ihrer Stadt gezeichnet. Es wird
für den Zuschauer die Bedrohung und Verunsicherung der betroffenen Menschen
spürbar.

Ich gratuliere der Gruppe zu dieser Arbeit im Rahmen des Projekts Analyse.
Ich wünsche Ihnen weiterhin Mut und Standfestigkeit. Ich bin sicher, dass
Sie am Ende siegen werden über Rechtsradikalismus, die Dummheit und den Hass dieser Menschen. Vielleicht finden Sie auch Wege, Teile der Bevölkerung
auf Ihre, auf unsere Seite zu ziehen. Sie haben die besseren Argumente.


4. Aktion-Analyse-Gruppe Straußberg

Acht Jugendliche haben sich in der Aktion-Analysegruppe aus dem Umfeld des
selbstverwalteten Jugendkulturprojektes HORTE zusammengefunden. Einige von ihnen waren bereits an der "Aktion Noteingang" beteiligt. Sie haben versucht einen lokalen Pressespiegel mit dem Fokus auf Naziübergriffe und
Gegenaktionen in der Zeit von 1993 bis 2001 zu erstellen. Diese Arbeiten
wurden in einem Heft zusammengefasst und durch eine Umfrage unter
Straußberger Schülerinnen und Schülern ergänzt. Damit konnten sogenannte
"gefährliche Orte" für sie in ihrer Stadt ausgemacht und aufgezeigt werden.
Die Umdeutung des Begriffs "gefährliche Orte" kritisiert die herrschende
Praxis, Ängste zu schüren, um Kontrolltechniken und Überwachung
durchzusetzen und stellt die Normalität in Frage, mit der selektiv z. B.
nach Hautfarbe Ausweiskontrollen durchgeführt werden.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Idee und Ihrem Beitrag gegen den sich
ständig ausbreitenden Rechtsradikalismus. Ich bin sicher, dass Ihre Arbeit
wichtig ist, gegen dieses Klima anzukämpfen und es durch Überzeugungsarbeit zu überwinden. Ich wünsche Ihnen einen langen Atem. Bleiben sie wachsam.

5. "Aktion Analysegruppe" aus Frankfurt an der Oder

Sie haben in den vergangenen Jahren immer wieder erleben müssen, dass
Rechtsextremisten hier in Frankfurt Demonstrationen veranstaltet haben.
Erfreulich dabei, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler dagegen
protestieren. Sie treffen sich in immer größerem Kreis in den Räumen des
Vereins UTOPIA e.V. Hier wurde bereits 1999 die "Aktion Noteingang"
Frankfurt/Oder initiiert.
Aus diesem Zusammenschluss von Jugendlichen bildete sich die Aktion
Analysegruppe. Sie haben mit Ihrer Arbeit einen kritischen Blick hinter die
Kulissen des "freundlichen Frankfurt" - einem Leitbild ihrer Stadt
ermöglicht. Sie haben aufgezeigt, welche Realitäten von alltäglichem
Rassismus und Rechtsradikalismus hinter der Fassade des "freundlichen
Frankfurt" liegen. Ihre Recherchen in den Jugendeinrichtungen, der
Medienberichterstattung, von Erlebnissen mit dem Bundesgrenzschutz und
anderen präsentieren Sie in Texten hinter den Blütenblättern der
"freundlichen Blume". Ergänzend zu dieser Arbeit schildern sie mit einem
Videofilm Ihre antirassistischen Aktionen und Gegenaktivitäten bei
Demonstrationen von Neonazis in Ihrer Stadt.
Neben dem Wunsch auf Erfolg für Eure weitere Arbeit fordere ich von den
Politikern dieser Stadt: unterstützen Sie diese Jugendarbeit. In ihr und mit
ihr lebt eine demokratische Gesellschaft. Herzlichen Glückwunsch für Ihr
gelungenes, kreatives Projekt.


Lassen Sie mich zum Ende Ihnen allen zu Ihrem Engagement gratulieren, mit
dem Sie sich durch Ihren nachhaltigen Kampf gegen Rechtsradikalismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und Hass um eine bessere Gesellschaft und eine
menschlichere Demokratie verdient machen.

Dies gilt besonders auch für die Initiatoren des Projekts Analyse, den
Vertretern der Aktion Noteingang. Ich finde, Ihr habt für uns einmal mehr
eindrucksvoll bestätigt, dass Ihr zu Recht den Aachener Friedenspreis
erhalten habt. Ich gratuliere Euch zum Projekt Analyse und dem damit
verbundenen Bemühen für eine andere Gesellschaft.

Eure Arbeit verdient alle Unterstützung und ich hoffe, dass auch die
politisch Verantwortlichen in Eurem Land, nicht nur die Projekte loben und
als vorbildlich zu ihrem Nutzen darstellen, sondern auch konkrete
finanzielle Unterstützung gewähren. Euch vom Projekt Analyse und allen hier
vertretenen Jugendgruppen nochmals meinen herzlichen Glückwunsch.


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und fürs Zuhören.

 
 

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