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www.telepolis.de, 11.9.01

Was hat der Anstand der Aufständischen gebracht?

Aus der Aktion Noteingang wird die Aktion Analyse, störrisch bleibt sie
(Autor: Michael Klarmann)

»Lange vor dem Juni 2000, nachdem der Bombenanschlag in der Düsseldorfer S-Bahnstation zu einer Massenbewegung gegen Nazis führte, hatte der Aachener Friedenspreis beschlossen, die Aktion Noteingang auszuzeichnen. Die ehrenamtlich tätigen Jugendlichen, die auf regionaler Ebene von den Stadtoberen oft als Unruhestifter angesehen wurden, waren nun ein in der überregionalen Presse bejubeltes Beispiel für den Kampf gegen Rassismus. Dieselben Initiatoren fragen nun via Aktion Analyse: Hat das Engagement etwas genutzt?

Die Aktion Noteingang begann 1998 als örtliche Initiative in Bernau, Ende letzten Jahres hatte sie in über 20 Gemeinden Brandenburgs Spuren hinterlassen. Die Aktivisten überzeugten Geschäftsleute, Behörden, Gaststätten- und Diskotheken-Betreiber Noteingang-Aufkleber auf Türen und Schaufenstern anzubringen, um Bedrohten zu signalisieren, hier finden sie Schutz vor gewalttätigen Übergriffen. So sollte ein Zeichen gesetzt werden gegen Gewalt allgemein und so genannten "National befreite Zonen" im speziellen - in ihnen laufen Ausländer und Linke Gefahr, Opfer von Nazischlägern zu werden.

Der Laudator Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung hatte bei der Friedenspreisverleihung am Antikriegstag 2000 erklärt, leider brauche es zum Anbringen der Aufkleber "an manchen Orten schon eine gehörige Portion Mut. Das Heraustreten aus der schweigenden Mehrheit, die Überwindung der eigenen Angst und der lähmenden Ohnmacht gehört mit zum befreienden Aspekt dieser Initiative."

Gerhard Diefenbach, Vorsitzender des Aachener Friedenspeis e.V. - eine Bürgerinitiative, resultierend aus der Friedensbewegung - erklärte damals, "der innere Frieden in unserem Land" sei "gefährdet. Rechtsradikale Gewalt gegen Ausländer und gegen Minderheiten breitet sich seit Jahren immer offener aus. Breite Schichten der Bevölkerung zeigen eine 'still klamm heimliche' Sympathie mit den Tätern oder schauen einfach weg." Die "Graswurzelbewegung ohne innere organisatorische Struktur" setze "ein Zeichen für die viel geforderte Zivilcourage." Schoch attestierte Diefenbachs Verein "ein besseres politisch-gesellschaftliches Gespür als großen Teilen der politischen Klasse." Ein Skandal sei es, "dass Politiker Initiativen wie Aktion Noteingang nicht sofort mit allen Mitteln unterstützt und gefördert haben!"

Heute, wo der frisch gestresste Antifaschismus sich beruhigt hat, stellt das Netzwerk seine Noteingang-Arbeit ein, was mehrere Gründe hat. So erhalte man etwa vom Bundesland seit Anfang des Jahres keine Fördergelder mehr. Nur einzelne Vereine könnten diese zurzeit beim Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg beantragen. Die finanzielle Mindestabdeckung in der Größenordnung der losen Organisationsstrukturen könne über diesen Umweg aber nicht gesichert werden, so Knut-Sören Steinkopf von der Aktion gegenüber Telepolis.

Darüber hinaus sei man es leid, so es einer Region um ein gutes Image gehe, medienwirksam als "Feigenblatt" zur Verfügung zu stehen. Gleichfalls sei es aber auch schon vorgekommen, dass ihre antifaschistische Arbeit vor Ort kriminalisiert wurde, so Steinkopf. Auch wurden sie in einigen Gemeinden nicht unterstützt, wo man scheinbar ein schlechtes Bild in der Öffentlichkeit befürchtete - da, wo man Zuflucht gewähren müsse, da gebe man ja plötzlich zu, ein Problem mit rassistischer Gewalt zu haben, das lange vertuscht wurde. Unkooperativ zeigte sich 1999 anfänglich auch Bernaus Bürgermeister Hubert Handke (CDU), als er erklärte, er könne sich "nicht gegen Rassismus positionieren". Als Schultheiß müsse er "neutral" bleiben. Immerhin aber habe man mit der Aktion Noteingang erreicht, das Thema Rassismus in die öffentliche Diskussion zu bringen, sagt Steinkopf heute.

Was wurde nun aber in dieser Gemengelage aus dem von Bundeskanzler Gerhard Schröder medienwirksam initiierten "Aufstand der Anständigen"? Um darauf im Land Brandenburg eine Antwort zu finden, macht sich die Ex-Aktion Noteingang eventuell einmal mehr unbeliebt bei der Obrigkeit. Sie hat einem Wettbewerb für Jugendliche und Jugendgruppen ins Leben gerufen, bei dem die Beteiligten recherchieren sollen. Etwa, ob es Treffpunkte von Nazis und rechte Strukturen in der Nachbarschaft gibt? Oder ob Übergriffe auf Andersdenkende und Ausländer stattfinden? Und wie ist die Situation der Asylbewerber vor Ort? Auch interessant zu wissen, wie Bürgermeister, Behörden und Polizei auf rassistische und ausländerfeindliche Vorfälle reagieren. Und was kann man gegen all das tun?

Wettbewerbsbeginn ist der 15. September (die dazugehörige Homepage geht bis Ende des Monats online). Eine Jury - Prominente, Künstler und Politiker sind angefragt daran teilzunehmen - wird am Ende die Beiträge prämieren. Verlangt wird eine "stichhaltige Recherche", sie soll Text-, Bild- und Filmmaterial ergeben, Anhand dessen festzustellen ist, ob und wo Rassismus existiert. Fördergelder für das Projekt liefert Civitas, ein Bestandteil des Programms Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Scharfe Kritik übt Steinkopf indes an dem inflationär anmutenden Gebrauch der Aktion Noteingang oder deren Kopien. Zwar beriefen sich regionale Ableger wie in Rheinland-Pfalz oder Berlin auf die "Graswurzelbewegung". Allerdings würde allzu oft von oben herab angeordnet, Aufkleber an Geschäften, Ämtern sowie Busse- und Bahnen anzubringen. Durch Befehle aber finde kein Umdenken in der Mitte der Gesellschaft statt. Ganz besonders fragwürdig findet er, dass sich die Berliner Verkehrsbetriebe an der Aktion beteiligen. Immerhin verjage der Sicherheitsdienst des Beförderungsunternehmens Obdachlose aus Bahnstationen und Kontrolleure oder Schaffner kontrollierten oft gezielt Dunkelhäutige nach den Fahrausweisen. Das vertrage sich nicht mit dem Ur-Prinzip der Aktion Noteingang, so Steinkopf.«

 
 

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